Pressemitteilung 2023


Die AAD 2023 ist die jährliche Fortbildungsveranstaltung von DOG und BVA. Sie bietet Augenärztinnen und Augenärzten sowie auch dem augenärztlichen Fachpersonal die Gelegenheit zum kollegialen Austausch und zur Fortbildung auf höchstem Niveau.


Berufsverband der Augenärzte Deutschlands
als Geschäftsbesorger der AAD GbR
Pressereferat
Tersteegenstr. 12
40474 Düsseldorf
Telefon: 0221 4303700
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AAD 2023 – Pressekonferenz

15. März 2023, 12:00 – 14:00 Uhr, CCD, Raum 12

Sehr geehrte Damen und Herren,

der 23. Kongress der Augenärztlichen Akademie Deutschlands wird dieses Jahr wieder in Düsseldorf für alle Augenärztinnen und Augenärzte sowie das augenärztliche Fachpersonal in Präsenz die Möglichkeit geben, sich über alle Themen der Augenheilkunde auf höchstem Niveau zu informieren sowie sich persönlich auszutauschen. Angesichts der vielen neuen Entwicklungen in der Medizin und speziell in der Augenheilkunde freuen wir uns alle schon auf möglichst viele Teilnehmende sowie rege Diskussionen.

Der 1. Vorsitzende des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands, Herr Dr. Peter Heinz, wird in seinem berufspolitischen Statement die neusten Entwicklungen in unserem Fach aufgreifen. Hier ist Vieles geschehen und im Umbruch. Herr Dr. Heinz wird in seinem Statement die Positionen des Berufsverbandes erläutern und auch einen Ausblick geben.

Einen Schwerpunkt der diesjährigen Pressekonferenz wird das Engagement für unsere jüngsten Patientinnen und Patienten bilden, da die Kinderaugenheilkunde ein wesentlicher Bestandteil unseres Faches ist. Hier werden die Grundlagen für ein gutes, lebenslanges Sehen gelegt. 

Eine besondere Herausforderung stellt in diesem Kontext die ophthalmologische Versorgung der Frühgeborenen dar. Gerade am Anfang des Lebens kann heutzutage bei einer Frühgeburt medizinisch viel getan werden. Trotzdem stellt diese Situation auch die betreuenden Augenärzte und Augenärztinnen immer wieder vor viele Probleme. 

Herr Prof. Dr. Andreas Stahl, Universität Greifswald wird daher über die neuen Leitlinien zur Frühgeborenenretinopathie berichten. Und Herr Dr. Bert Müller, Charité, wird über die Erfahrungender klinischen Behandlung, insbesondere bei intravitrealer Behandlung der Frühgeborenenretinopathie, berichten.

Die intravitreale Spritzentherapie hat aber nicht nur bei dem jüngsten Patientenklientel unseres Faches einen hohen Stellenwert. Vor allem in der Therapie der altersbedingten feuchten Makuladegeneration ist sie nicht mehr wegzudenken und hat zu einem wesentlichen Fortschritt in der Behandlung geführt. Bei der trockenen Makuladegeneration dahingegen hat es bis jetzt keine zugelassene Therapie gegeben. Das ändert sich nun, da auch hier wichtige neue Behandlungsansätze zur Verfügung stehen, über die Frau Prof. Dr. Sandra Liakopoulos, Universität Köln, berichten wird.

Ebenfalls ein großes neues wissenschaftliches Feld ist die Anwendung der künstlichen Intelligenz (KI). Gerade in der Augenheilkunde sind hier schon viele Einsatzgebiete in der Erforschung. Herr Prof. Dr. Hagen Thieme, Universität Magdeburg, wird über den Einsatz der KI im Bereich der Glaukomdiagnostik sprechen und aufzeigen, welcher  Nutzen hierdurch in der Behandlung dieser schweren Erkrankung erzielt werden kann.

Drei Jahre ist die SARS-Cov2-Erkrankung im Rahmen des weltweiten Pandemiegeschehens in der Erforschung. Auch über mögliche Auswirkungen der Impfung gegen das Virus wurde viel diskutiert.  Herr Prof. Dr. Nicolas Feltgen, Universität Göttingen, kann hinsichtlich der Augen Entwarnung geben: Es gibt keine Hinweise darauf, dass es nach der Impfung vermehrt zu gefährlichen retinalen Gefäßverschlüssen, die das Sehvermögen entscheidend verschlechtern können, gekommen ist.

Eine spannende Reise in die Welt der Augenheilkunde – unsere Referienden laden Sie hierzu sehr herzlich ein. Und auch wir wünschen Ihnen viel Freude dabei sowie einen interessanten Kongress mit vielen spannenden und inspirierenden Momenten.

In diesem Sinn grüßen Sie herzlich

Ihre

Andrea Lietz-Partzsch sowie das gesamte Team des Pressereferates 

Pressemappe:


Augenheilkunde steht enorm unter Druck
Ohne Umdenken fährt das Gesundheitssystem vor die Wand

Die augenheilkundliche Versorgung der Bevölkerung in Deutschland steht aktuell enorm unter Druck. Das hat mannigfaltige Gründe. Einerseits sind wir Augenärztinnen und Augenärzte – wie die gesamte Bevölkerung – von der aktuell weiter hohen Inflation und insbesondere dem enormen Anstieg der Energiekosten betroffen und auch die Kosten für unsere medizintechnischen Geräte und Verbrauchsmaterialien kennen preislich nur eine Richtung, nämlich nach oben. Hinzu kommen dann noch Preiserhöhungen bei der Software, den Gerätewartungen und
-reparaturen. Hierbei sind die Probleme der kurzfristigen Beschaffung so mancher Ersatzteile oder kompletter Geräte ebenfalls stets präsent. Auch erforderliche Gehaltssteigerungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter belasten die ambulanten und stationären Einrichtungen. Andererseits wird diese ungute Situation dann noch durch den extrem schlechten Honorarabschluss aus dem vergangenen Sommer mit einer Erhöhung des Orientierungspunktwertes von lediglich zwei Prozent befeuert. Anders als viele stationäre Einrichtungen, die die ein oder andere Finanzspritze der Bundesländer und des Bundes erhalten haben, wird der ambulante Sektor von der Politik einmal mehr allein gelassen. Auch die kontinuierliche Verweigerung eines Coronabonus für unsere Medizinischen Fachangestellten ist ein Beleg für die fehlende Wertschätzung der Arbeitsleistung des ambulanten Sektors von Seiten der politischen Entscheidungsträger und der gesetzlichen Krankenkassen.

Ambulante Laserbehandlungen abgewertet

Eine weitere Bedrohung der wohnortnahen augenärztlichen Versorgung stellen die jüngsten Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses hinsichtlich des Katalogs und der Bewertung von ambulant zu erbringenden operativen Eingriffen dar. Beispielsweise wurden die Laserleistungen abgewertet. Damit wurden die konservativ tätigen Augenärztinnen und -ärzte wieder einmal geschwächt. Das passt angesichts der sonstigen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht in die Zeit und wird sicherlich keine Verbesserung der flächendeckenden wohnortnahen augenheilkundlichen Versorgung zur Folge haben. Außerdem wurden entgegen der Vorschläge und eindeutigen Ablehnungen der augenärztlichen Verbände Leistungen neu aufgenommen, während die von uns geforderten Leistungen wieder außen vor gelassen wurden. 

Überlegungen zu §115f-Leistungen medizinisch gefährlich

Auch die bisherigen Überlegungen zum Katalog der §115f-Leistungen stellen für die augenheilkundliche Versorgung der Bevölkerung eine Gefahr dar. Dabei handelt es sich um ambulant zu erbringende Leistungen, die gleich vergütet werden, unabhängig davon, ob eine ambulante oder eine stationäre Einrichtung diese Leistung erbringt. Schon jetzt ist die Augenheilkunde das Fach mit dem größten Anteil an ambulant erbrachten operativen Eingriffen. Die stationär erbrachten Eingriffe und Behandlungen weisen zudem oftmals – trotz extrem komplexer und schwieriger Operationen – eine Liegedauer auf, die unterhalb der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer von aktuell 7,2 Tagen liegt. Davon abzuleiten, dass alle Eingriffe, die zum Beispiel eine Verweildauer von vier Tagen oder weniger aufweisen, prinzipiell ambulant zu erbringen sind, wäre – was die Augenheilkunde angeht – fahrlässig und medizinisch gefährlich. Dies scheint aber den Entscheidungsträgern in der Politik und den Gremien der Selbstverwaltung egal zu sein, was man an den bisherigen Überlegungen klar erkennen kann. Deshalb hier noch einmal mein Appell: Die Augenheilkunde passt nicht in Ihre Schemata und muss isoliert betrachtet werden, ansonsten riskieren Sie die noch funktionierende augenheilkundliche Versorgung!

Krankenhausreform droht zum Sargnagel für viele Augenabteilungen zu werden

Auch die bisherigen Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums zur Krankenhausreform offenbaren eine unsägliche Unkenntnis der aktuell vorliegenden Situation und stellt – sollte diese wirklich so umgesetzt werden – den Sargnagel für hoch spezialisiert agierende augenheilkundliche Abteilungen vieler Kliniken dar. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Augenabteilungen an Krankenhäusern, welche nach der geplanten Einteilung im unteren Level angesiedelt sind, die augenheilkundlich zur „Champions league“ gehören. Diese könnten dann ihre höchst komplexen Eingriffe nicht mehr kostendeckend erbringen. Das wird zu weiteren Umwälzungen in der augenheilkundlichen Versorgungslandschaft führen. Die Leidtragenden werden dann die Patientinnen und Patienten sein!

Augenmedizinische Betreuung von Kindern durchweg unterfinanziert

Auch in der aktuellen Debatte um die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird die Augenheilkunde wieder einmal „übersehen“. Wir führen unter anderem Schiel-, Glaukom- und Netzhautbehandlungen bei unseren kleinen Patientinnen und Patienten durch, die ebenfalls kaum kostendeckend vergütet werden. Ein besonderes Drama besteht aber auch noch in der orthoptischen Versorgung von Kindern, da die entsprechenden Ziffern innerhalb des Regelleistungsvolumens erbracht werden und damit ebenfalls keineswegs adäquat vergütet werden. Insbesondere hier macht sich die Streichung der „TSVG-Neupatientenregelung“ stark bemerkbar, da diese Kinder im Rahmen des „neuen Falles“ eingehend orthoptisch und augenärztlich untersucht werden konnten, ohne das ohnehin zu knappe Budget zu belasten. Da die Augenheilkunde von dieser „Neupatientenregelung“ sehr profitiert hatte und sich die Wartezeiten gerade für Neupatienten deutlich verringerten, ist zu befürchten, dass diese jetzt zeitnah wieder merklich ansteigen werden. Es ist uns nicht länger zuzumuten, uns weiterhin selbst auszubeuten und immer mehr Patientinnen und Patienten innerhalb unserer Budgets zu behandeln. Damit ist jetzt Schluss und die „Kneipe, in der alle dauernd konsumieren, aber nur 80 Prozent der Kunden bezahlen“ wird schließen! Das dürfen dann die Politiker und die ignoranten Kostenträger ausbaden, denn – wie man auch bei den Arzneimitteln sieht – Geiz ist nicht immer geil und hat schwerwiegende Folgen.

Bedarfsplanung im ländlichen Bereich liberalisieren

Auch auf dem Sektor der Investoren-betriebenen Medizinischen Versorgungszentren muss sich etwas ändern. Es gilt hier insbesondere bei der Vergabe von Zulassungen endlich eine Gleichbehandlung mit den Einzel- und Gemeinschaftspraxen herzustellen. Hier sei als Stichwort die „Konzeptbewerbung“ genannt, die eine absolute Benachteiligung der Praxen darstellt. Um die augenheilkundliche Versorgung in ländlichen Regionen zu stärken, müsste zudem unbedingt die Bedarfsplanung im ländlichen Bereich liberalisiert werden. Sie muss den regionalen Besonderheiten angepasst werden. Das aktuell starre System geht am wirklichen Bedarf und an den Erfordernissen für unsere nachkommende Ärztegeneration vorbei. Mit den jetzigen Regelungen finden sich zunehmend weniger Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, sich jenseits der Ballungszentren niederzulassen.  

Es muss schnellstmöglich ein Umdenken stattfinden, sonst fährt die Politik unser noch funktionierendes Gesundheitssystem mit Volldampf gegen die Wand.

Dr. Peter Heinz
1. Vorsitzender des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e.V.
Tersteegen Str. 12
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Tel.: (02 11) 4 30 37 00
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Augenärztliches Screening und Therapie bei Frühgeborenen
Was sehen aktuelle Leitlinien vor?

Wenn ein Kind zu früh geboren wird, bedeutet das für die Eltern Stress, Sorge und Unsicherheit. Ärzte verschiedener Fachrichtungen sind dann daran beteiligt, die kleinen Kämpfer und ihre Familien zu betreuen. Zu ihnen gehören Augenärzte, denn Frühgeborene sind dem Risiko ausgesetzt, dass sich ihre Netzhaut nicht normal entwickelt und dass sie erblinden können.

Von einem Frühgeborenen spricht man, wenn das Kind vor dem Ende der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. Die Zahl der Frühgeborenen in Deutschland nimmt zu – etwa jedes zehnte Kind wird zu früh geboren. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits sind die Frauen zum Zeitpunkt der Geburt heute älter als sie es in früheren Jahrzehnten waren. Andererseits sorgt der medizinische Fortschritt dafür, dass auch sehr junge und sehr leichte Kinder heute überleben. Ein Risiko, eine Frühgeborenretinopathie zu entwickeln, besteht vor allem bei Kindern, die vor der 31. Schwangerschaftswoche geboren werden.

Die Netzhaut der Augen dieser Kinder ist bei einer zu frühen Geburt noch nicht hinreichend ausgereift und insbesondere noch nicht ausreichend mit Blutgefäßen versorgt. Die Entwicklung der Blutgefäße wird über den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) gesteuert. Die Bildung dieses Signalmoleküls wird durch die frühe Geburt erst unterbrochen, dann folgt eine überschießende Produktion. So kann es zu einer unkontrollierten Bildung von Blutgefäßen in der Netzhaut kommen, deren Folge eine Netzhautablösung und die Erblindung des Kindes sein kann. Augenärzte sprechen in solchen Fällen von der Frühgeborenenretinopathie (retinopathy of prematurity, ROP). Mit einer rechtzeitigen Behandlung lässt sich die Erblindung jedoch verhindern.

Zum Erkennen einer Frühgeborenenretinopathie ist ein augenärztliches Screening essentiell. In der S2k-Leitlinie „Augenärztliche Screening-Untersuchung bei Frühgeborenen“ ist festgelegt, bei welchen Kindern zu welchem Zeitpunkt Untersuchungen stattfinden sollen (1). Angezeigt ist das Screening bei Kindern, die vor Vollendung der 31. Schwangerschaftswoche geboren wurden oder – wenn die Schwangerschaftsdauer nicht bekannt ist – bei Kindern, die bei der Geburt weniger als 1500 g wogen. Außerdem werden all jene Frühgeborenen untersucht, bei denen zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Kinder mehr als fünf Tage lang Sauerstoff erhielten oder wenn sie an bestimmten Begleiterkrankungen leiden. Die erste augenärztliche Untersuchung findet in der sechsten Woche nach der Geburt statt, bei extrem unreifen Frühgeborenen allerdings nicht vor einem Alter von 31 Wochen nach der letzten Monatsblutung. Folgeuntersuchungen finden meist alle zwei Wochen statt, bei Hinweisen auf eine beginnende ROP wöchentlich. Ist der Befund deutlich rückläufig oder wurde der errechnete Geburtstermin überschritten, dann können die Kontrollintervalle um eine Woche verlängert werden.

Für die Untersuchung wird die Pupille mit Augentropfen erweitert und die Netzhaut bis in ihre Randbereiche stereoskopisch untersucht. Auch die vorderen Augenabschnitte werden sorgfältig beurteilt.

Im weiteren Verlauf ihres jungen Lebens sollten die Kinder weiterhin regelmäßig augenärztlich untersucht werden, denn bei ihnen ist das Risiko gegeben, dass weitere Probleme mit den Augen auftreten. 

Die Behandlungsmöglichkeiten der ROP sind in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Ob eine Behandlung notwendig ist, hängt davon ab, welche Bereiche der Netzhaut betroffen sind und wie ausgeprägt die Veränderungen sind. Heute kommen im Wesentlichen zwei Verfahren zur Behandlung der Frühgeborenenretinopathie zum Einsatz: Die Laserkoagulation einerseits und die Gabe von Anti-VEGF-Medikamenten ins Augeninnere andererseits. In Ausnahmefällen kommt auch die Kryokoagulation zum Einsatz (eine Behandlung mit einer Kältesonde) oder eine Operation. Die ophthalmologischen Fachgesellschaften haben in einer Stellungnahme zur Anti-VEGF-Therapie der Frühgeborenenretinopathie Kriterien zur Therapiewahl zusammengefasst (2).

Bei der Laserkoagulation werden noch nicht durchblutete Teile der Netzhaut punktuell mit dem Laser koaguliert. Eine Behandlungssitzung reicht meist aus, um die ROP zu stoppen. Allerdings handelt es sich um einen zeitaufwendigen Eingriff, der meist in Narkose durchgeführt werden muss. Dabei werden die gelaserten Netzhautbereiche unwiederbringlich zerstört, was Gesichtsfeldeinschränkungen zur Folge hat. Diese Bereiche produzieren dann aber kein VEGF mehr, es kommt nicht mehr zur überschießenden Bildung von Blutgefäßen und die übrige, nicht gelaserte Netzhaut bleibt erhalten.

Die Anti-VEGF-Therapie hat dagegen den Vorteil, dass der Eingriff nur kurz dauert und auch ohne Narkose möglich ist. Zudem bleibt die Chance erhalten, dass die Netzhaut sich bis in ihre Randbereiche hin normal entwickeln kann, so dass es nicht zu Gesichtsfeldeinschränkungen kommt. Auch die häufig mit einer ROP verbundene Entwicklung einer Kurzsichtigkeit ist nach einer Anti-VEGF-Therapie meist weniger ausgeprägt als nach einer Laserbehandlung. Die Nachteile sind jedoch auch nicht zu vernachlässigen: Das Medikament wird direkt ins Augeninnere gespritzt, dabei besteht ein, wenn auch sehr geringes, Risiko für eine Endophthalmitis, eine schwere Entzündung im Augeninneren. Außerdem lassen die Anti-VEGF-Wirkstoffe mit der Zeit nach, so dass es zu einer Reaktivierung der ROP kommen kann. Dann ist eine erneute Injektion oder eine sekundäre Lasertherapie notwendig. Bei einer Anti-VEGF-Therapie ist es deshalb besonders wichtig, dass die Eltern mit dem Kind langfristig zu regelmäßigen, meist wöchentlich bis zweiwöchentlichen Nachkontrollen kommen – oft bis zu 35 Wochen nach der Behandlung oder bis zu einem Alter von 29 Wochen nach dem errechneten Geburtstermin. 

Die Eltern aller Frühgeborenen sollten einen ROP-Pass erhalten, in dem Untersuchungsergebnisse, Behandlungen und Kontrolltermine eingetragen werden.

Fazit

Die Zahl von Frühgeburten in Deutschland ist in den vergangenen Jahren angestiegen. Zu den Problemen, mit denen zu früh geborene Kinder zu kämpfen haben, zählt auch die Frühgeborenenretinopathie, eine Erkrankung der Netzhaut des Auges, die zur Erblindung führen kann. Deshalb müssen diese Kinder rechtzeitig augenärztlich untersucht und, wenn nötig, behandelt werden. Zwei Verfahren stehen zur Verfügung: Die Laserkoagulation, mit der die äußeren Netzhautbereiche verödet werden, stoppt die ROP meist nach nur einer Behandlung, verödet aber dabei Netzhautgewebe. Die Gabe von Anti-VEGF-Medikamenten ins Augeninnere ist weniger belastend für die Kinder und schont die Netzhaut, doch unter Umständen genügt eine einmalige Behandlung nicht, daher sind langfristige Kontrollen wichtig.

Prof. Dr. Andreas Stahl
Universitäts Greifswald
Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde
Ferdinand-Sauerbruch-Straße
17475 Greifswald
Tel: 03834-86-5900
Fax: 03834-86-5902
eMail: klinikleitung-augen@med.uni-greifswald.de

Quellen:

1) S2k-Leitlinie Augenärztliche Screening-Untersuchung bei Frühgeborenen, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024-010, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/024-010

2) Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands zur Anti-VEGF-Therapie der Frühgeborenenretinopathie, https://www.augeninfo.de/cms/fileadmin/stellungnahmen/Anti-VEGF-Therapie_der_Fruehgeborenenretinopathie_2020_05.pdf

Diesen Pass erhalten Eltern von Frühgeborenen, die wegen einer Frühgeborenenretinopathie behandelt wurden.

Neues zur Behandlung der Frühgeborenenretinopathie
Chancen und Risiken der Medikamentengabe ins Augeninnere

65.000 Kinder kommen in Deutschland in jedem Jahr zu früh zur Welt – und es werden mehr. Augenärzte schenken ihnen eine besondere Aufmerksamkeit, denn sie gehören zu einer ophthalmologischen Risikogruppe. 12.000 dieser Kinder werden wegen der Gefahr einer Frühgeborenenretinopathie (retinopathy of prematurity, ROP) untersucht. Schreitet sie rapide fort, dann muss sie umgehend behandelt werden, um zu verhindern, dass das Kind erblindet. Die zu frühe Geburt hat zudem auch noch andere Folgen für das visuelle System:
– Die Sehschärfe ist häufig reduziert.
– Etwa fünf bis 20 Prozent der Kinder entwickeln eine hohe Kurzsichtigkeit.
– Bis zu 25 Prozent der Kinder schielen.
– Das räumliche Sehen entwickelt sich häufig nicht normal.
– Das Gesichtsfeld kann eingeschränkt sein.
– Die Kontrastempflindlichkeit ist mitunter reduziert.
– Die Auge-Hand-Koordination ist möglicherweise gestört.

Dies alles wirkt sich auf die Entwicklung des Kindes aus und hat Einfluss auf die Aufmerksamkeit, die Kognition und das Verhalten. 

Ziel der augenärztlichen Betreuung von den ersten Lebenswochen an ist es, eine möglichst normale Entwicklung des visuellen Systems sicherzustellen, damit das Kind mit so wenigen Beeinträchtigungen wie möglich heranwächst.

Die ROP ist die größte Bedrohung für das Sehvermögen der Kinder. Wird sie nicht behandelt, kann es zu einer Netzhautablösung oder -verziehung kommen mit der Folge, dass das Kind sehbehindert wird oder dass es erblindet. Dies gilt es auf jeden Fall zu vermeiden. 

Behandlung mit Antikörpern gegen VEGF

Seit dem Jahr 2010 wird die Behandlung der ROP mit Anti-VEGF-Medikamenten erforscht. Bisher fanden Untersuchungen zu drei Präparaten statt.

Der Wirkstoff Ranibizumab (Handelsname Lucentis) erhielt 2019 die Zulassung für die Behandlung bei Frühgeborenen. Im off-label-use wird auch Bevacizumab (Handelsname Avastin) verwendet. Aflibercept (Handelsname Eylea) erhielt im November 2022 eine Zulassungsempfehlung in der EU. Damit stehen dann mehrere Wirkstoffe zur Auswahl. In der täglichen Praxis gilt es, zunächst zu entscheiden, ob die Laserkoagulation zum Einsatz kommt oder die medikamentöse Therapie und dann abzuwägen, welches Präparat am besten geeignet ist.

Einiges spricht für die Anti-VEGF-Therapie: Um die Medikamente ins Auge zu geben, ist keine Vollnarkose notwendig, eine Sedierung und örtliche Betäubung genügen. Die Behandlung wirkt sofort, das Netzhautgewebe wird nicht zerstört und es ergeben sich keine behandlungsbedingten hochgradigen Fehlsichtigkeiten wie sie oft nach einer Laserbehandlung zu beobachten sind. Doch auch die Nachteile müssen bei einer Therapieentscheidung berücksichtigt werden. 

Es handelt sich um eine invasive Behandlung, bei der ein Infektionsrisiko berücksichtigt werden muss wie es bei einer Augenoperation gegeben ist. Bei der Behandlung können auch Strukturen des Auges verletzt werden, beispielsweise kann es zu einer Linsentrübung (Katarakt) kommen. Das Medikament wirkt zwar sofort im Augeninneren, die Wirkdauer ist aber auf wenige Wochen begrenzt. Die Krankheit kann wiederaufflammen. Deshalb sind viele, regelmäßige Nachkontrollen unerlässlich und eine weitere Behandlung oder auch eine Lasertherapie kann notwendig werden. In Einzelfällen wurde schon beobachtet, dass es noch zehn Jahre nach der Geburt ein spätes Rezidiv gab.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Bei der Behandlung der Frühgeborenen sind auch etliche Besonderheiten zu berücksichtigen – die altbekannte Weisheit „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ gilt für Frühgeborene ganz besonders. Es beginnt schon mit der korrekten Dosierung des Medikaments. In das kleine Auge wird nur eine winzige Menge gegeben – zwei Hundertstel eines Milliliters (20μl). 

Für die Desinfektion der Lider und der Haut um das Auge herum kommen jodfreie Mittel zum Einsatz, um sicherzustellen, dass das Jod nicht die Aktivität der Schilddrüse beeinflusst. Auch die Größenverhältnisse im Auge sind bei Kindern anders als bei Erwachsenen: Die Linse ist im Verhältnis zum Augapfel größer. Beim Ansetzen der Injektionsnadel ist das zu berücksichtigen, denn schon eine leichte Berührung der Linse würde eine Trübung (Katarakt) verursachen. 

Besonderheiten der Wirkstoffe

Zu berücksichtigen sind zudem die Besonderheiten der einzelnen Wirkstoffe. So ist bekannt, dass der Anti-VEGF-Wirkstoff Bevacizumab aus dem Auge in den Körper des Kindes gelangen kann. Eine Freisetzung ist über Wochen messbar, aber es ist noch unklar, welche Nebenwirkungen er dort auslösen kann. Da Bevacizumab für die Therapie der ROP nicht zugelassen ist, müssen die Eltern besonders sorgfältig aufgeklärt werden, wenn es eingesetzt wird. 

Bei Ranibizumab gab es zunächst relativ viele Kinder, die auf die Therapie nicht ansprachen: Bei neun Prozent der behandelten Säuglinge versagte die Therapie. Da vermutet wurde, dass die winzige Menge von 20μl in einer Tuberkulinspritze nicht genau genug dosierbar ist, wird das Präparat inzwischen in einer Präzisionsspritze bereitgestellt. Die Rezidivrate liegt für Ranibizumab bei bis zu 21 Prozent. Das heißt, dass bis zu einem Fünftel der Kinder nach durchschnittlich sieben Wochen erneut behandelt werden müssen. Bei Bevacizumab liegt die Rezidivrate dagegen bei neun Prozent der Kinder, die im Durchschnitt nach 15 Wochen noch einmal behandelt werden müssen.

Für die Behandlung und dann erst recht für die Entscheidung, ob und wann ein Kind erneut behandelt werden muss, benötigt der behandelnde Augenarzt/die Augenärztin viel Erfahrung. Ein Rezidiv verläuft langsamer als die erste Erkrankung und auch die Halbwertszeit des eingesetzten Antikörpers spielt eine Rolle. Mit der Zeit reifen auch die Wände der Blutgefäße und reagieren nicht mehr so schnell auf VEGF. Daher kann die Indikation zur Folgebehandlung individuell variieren.

Wann und wie finden die Nachkontrollen statt?

Das ROP-Screening findet in der Klinik statt, in der das Kind direkt nach der Geburt betreut wird. Aber auch nach der Entlassung ist eine kompetente Nachsorge erforderlich. Zumindest die Kinder, die wegen einer ROP mit Anti-VEGF-Medikamenten behandelt wurden, sollten auch weiterhin in einer spezialisierten Einrichtung betreut werden.

Denn bei den behandelten Kindern werden die Randbereiche der Netzhaut wahrscheinlich nie vollständig ausreifen. Es ist zu erwarten, dass es am Rand immer Netzhautgebiete geben wird, in denen es keine Blutgefäße gibt und in denen unterschwellig immer noch der Wachstumsfaktor VEGF freigesetzt wird. Das kann auch über Monate und Jahre andauern und birgt das Risiko, dass sich eine langsam fortschreitende krankhafte Gefäßentwicklung ergibt. Die Folge können Narben sein und Zugkräfte an der am Rand nur sehr schlecht einsehbaren Netzhaut. Die „adulte“, also „erwachsene“ Frühgeborenenretinopathie gilt inzwischen als eigenes Krankheitsbild.

Die notwendigen Nachuntersuchungen sind im Alter bis etwa 6 Monate noch gut möglich, danach wird es oft schwierig, weil die Kinder nicht kooperieren. Dann kann es sein, dass die Untersuchungen in Narkose stattfinden müssen und dass sie im Bedarfsfall sofort behandelt werden. Über diese Möglichkeiten verfügen nur Kliniken, die auch eine ROP behandeln.

Die Eltern erhalten ein Einlegeblatt in das Gelbe Heft, in dem alle Vorsorgeuntersuchungen für Kinder dokumentiert werden. Auf dem Einlegeblatt werden die Behandlung mit Datum und ausführendem Arzt aufgeführt, zudem die Kontrolluntersuchungen mit ihren Befunden dokumentiert und das geplante Datum der nächsten Kontrolle. Gerade nach der Behandlung mit Anti-VEGF-Medikamenten ist es unerlässlich, dass die Eltern diese Nachsorgetermine zuverlässig wahrnehmen.

Fazit

Frühgeborene Kinder sind ophthalmologische Risikopatienten. Vor allem eine fortschreitende Frühgeborenenretinopathie gilt es rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Die Therapie mit Anti-VEGF-Medikamenten hat die Möglichkeiten in den vergangenen Jahren erweitert. Sie birgt Vorteile gegenüber der Lasertherapie – sie kann unter örtlicher Betäubung ausgeführt werden und schont das Netzhautgewebe – doch sie hat auch Nachteile, die zu berücksichtigen sind. Insbesondere lässt die Wirkung nach einigen Wochen nach, so dass Wiederbehandlungen nötig sein können. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind dringend notwendig. In Einzelfällen wurde schon beobachtet, dass die Krankheit nach zehn Jahren wieder aufflammte. Wenn ein „Frühchen“ einmal wegen ROP behandelt werden musste, wird es deshalb dauerhaft ein Augenpatient bleiben.

Dr. Bert Müller
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Klinik für Augenheilkunde
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Tel: 030 – 450 554 018
Fax: 030 – 450 7 554 018
eMail: bert.mueller@charite.de


Bildlegende: Zustand nach Laserkoagulation mit großflächigen Narben (links) bei behandlungsbedürftiger Frühgeborenenretinoptahie und nach Behandlung mit VEGF-Hemmer (rechts)

   

Quellen: 

Mintz-Hittner HA, Kennedy KA, et al. BEAT-ROP Cooperative Group. Efficacy of intravitreal bevacizumab for stage 3+ retinopathy of prematurity. N Engl J Med. 2011 Feb 17;364(7):603-15. 

Stahl A, Lepore D, et al, Ranibizumab versus laser therapy for the treatment of very low birthweight infants with retinopathy of prematurity (RAINBOW): an open-label randomised controlled trial. Lancet. 2019 Oct 26;394(10208):1551-1559


Therapieansätze bei trockener AMD
Gibt es Chancen, das Sehvermögen zu erhalten?

Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist eine der Hauptursachen für Sehbehinderung und Erblindung in Deutschland und weltweit. Von einem Frühstadium sind in Deutschland knapp sieben Millionen Menschen betroffen, Spätstadien sind bei etwa 480.000 Menschen hierzulande festzustellen. Es ist zu erwarten, dass aufgrund der steigenden Lebenserwartung die Zahl der von einer AMD betroffenen Personen weiter zunehmen wird. Während es für die schnell voranschreitende neovaskuläre Spätform der AMD (auch „feuchte AMD“ genannt) inzwischen etablierte Behandlungsmöglichkeiten gibt, fehlt bisher die Möglichkeit, die langsamer voranschreitende trockene Spätform der AMD, die geographische Atrophie, aufzuhalten.

Bald könnte es aber erstmals eine Therapie für die geographische Atrophie geben, die zumindest deren Größenwachstum verlangsamen kann. Für zwei Wirkstoffe, Pegcetacoplan und Avacincaptad pegol wurde die Zulassung bereits beantragt. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat Pegcetacoplan Ende Februar für diese Indikation zugelassen. In Europa ist 2024 mit einer Entscheidung über dieses Medikament zu rechnen. Zudem laufen weitere Studien, unter anderem für Gentherapien, die in der Zukunft die Behandlungsmöglichkeiten noch erweitern könnten.

Frühe und späte Formen der AMD

Die AMD hat multifaktorielle Ursachen. Die Bezeichnung „altersabhängig“ nennt jedoch schon einen wichtigen Risikofaktor: das Alter. Die Krankheit beginnt schleichend und zeichnet sich zunächst durch Ablagerungen am hinteren Augenpol aus, die als Drusen bezeichnet werden. In diesem frühen Stadium bemerken Patienten häufig wenige bis keine Symptome. Kommt es im Verlauf zu einem Einwachsen von Blutgefäßen unter die Netzhaut und zum Austreten von Flüssigkeit aus diesen neugebildeten Gefäßen, so kann die Sehkraft plötzlich sinken. Seit 15 Jahren stehen mit den VEGF-Inhibitoren wirksame Medikamente zur Verfügung, welche den Sehverlust bremsen und die Sehkraft sogar wieder verbessern können.

Auch ohne neugebildete Blutgefäße kann die Sehkraft bedroht sein: durch einen progredienten Untergang von Pigmentepithelzellen und der lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut, der Fotorezeptoren. Diese Spätform der Makuladegeneration wird als geographische Atrophie bezeichnet. Sie führt zu einer langsam schleichenden Abnahme des Sehvermögens. Ist das Zentrum der Makula, die Fovea, betroffen, entsteht in der Mitte des Gesichtsfeldes ein blinder Fleck. Das äußere Gesichtsfeld bleibt erhalten, so dass sich die Betroffenen meist weiter im Raum orientieren können. Lesen beispielsweise oder Gesichter erkennen ist hingegen nicht mehr möglich. Die Erkrankung kann bis hin zu einer Erblindung im Sinne des Gesetzes fortschreiten. Eine ausgewogene mediterrane Ernährung und Verzicht auf das Rauchen haben einen positiven Effekt auf den Verlauf der Erkrankung. Bislang steht jedoch keine zugelassene Therapie zur Verfügung.

Multimodale Bildgebung hilft, die AMD zu verstehen

Um neue Behandlungsmöglichkeiten für eine Krankheit zu finden, ist es zunächst notwendig, die Abläufe, die die Krankheit verursachen, besser zu verstehen. Hier hat die moderne multimodale Bildgebung, bei der die Optische Kohärenztomographie (OCT) eine besondere Rolle spielt, in den vergangenen Jahren einen enormen Lernfortschritt ermöglicht. Internationale Gruppen von Wissenschaftlern haben gemeinsam Biomarker definiert, die für die Klassifikation der AMD von Bedeutung sind und bei der Beurteilung helfen, wie groß im einzelnen Fall das Risiko für eine Progression der Krankheit ist.

Während die Bildgebung objektive Befunde liefert, die in Studien als Kriterium genutzt werden können, um die Wirksamkeit einer Behandlung zu beurteilen, ist die zentrale Sehschärfe bei der geographischen Atrophie nur bedingt als klinischer Endpunkt für Therapiestudien geeignet. Eine frühe AMD verursacht schließlich noch keine oder nur geringe Einschränkungen der Sehschärfe. Zu einem deutlichen Visusabfall kommt es erst dann, wenn der Punkt des schärfsten Sehens von der Atrophie betroffen ist. 

Ein Ansatzpunkt bei der trockenen AMD: das Komplementsystem

Vor wenigen Jahren zeigte sich, dass in der Entwicklung der trockenen AMD das Komplementsystem eine wichtige Rolle spielt. Das Komplementsystem ist Teil des Immunsystems. Zu ihm gehören mehr als 30 Proteine. Ihre Aufgabe ist es, die Oberfläche von Krankheitserregern zu bedecken, so dass sie von Fresszellen sicher erkannt und zerstört werden. Das Komplementsystem löst zudem Entzündungsreaktionen aus, die den Kampf gegen eine Infektion unterstützen. Gerät das Komplementsystem aus dem Gleichgewicht, dann kann es an verschiedenen Krankheiten beteiligt und für Gewebsschäden verantwortlich sein. Das ist auch bei der geographischen Atrophie der Fall. Die beiden neuen Medikamente zielen auf Bestandteile des Komplementsystems, um dessen Wirkung zu hemmen.

Möglicherweise erstmals Zulassung einer Therapie zur Behandlung der geographischen Atrophie in 2023

Das synthetische Molekül Pegcetacoplan bindet sich an den Komplementfaktor C3. Wird es monatlich oder alle zwei Monate ins Augeninnere gegeben, dann verlangsamt sich das Wachstum der geographischen Atrophie. Das wurde in Phase III-Studien für den Zeitraum von 24 Monaten nachgewiesen. Der Wirkstoff Avacinacaptad pegol setzt beim Komplementfaktor C5 an. Auch für dieses Medikament liegen Phase III-Studiendaten vor, die belegen, dass das Wachstum der geographischen Atrophie gebremst wird. Ein funktioneller Benefit konnte in den bisherigen Studien nicht nachgewiesen werden, jedoch kann eine Verlangsamung des Wachstums einer Atrophie Patienten zum Beispiel wertvolle Zeit mit erhaltener Lesefähigkeit schenken, bevor das Sehzentrum von der Erkrankung betroffen ist. Es besteht die Aussicht, dass diese beiden Medikamente bald eine Zulassung in Deutschland erhalten werden. Sie müssen in regelmäßigen Abständen ins Auge gegeben werden. 

Herausforderung für die augenärztliche Versorgung

So positiv die Nachricht ist, dass es neue Möglichkeiten gibt, das Sehvermögen zu erhalten – für die augenärztliche Versorgung ist es eine große Herausforderung. Die Medikamente müssen in regelmäßigen Abständen von ein bis zwei Monaten ins Auge gegeben werden. Das Verfahren der intravitrealen operativen Medikamentengabe (IVOM) ist seit Jahren bewährt. Für die Patienten sind die häufigen Kontrolltermine und Behandlungen jedoch aufwändig. Augenarztpraxen und –kliniken stehen vor der Aufgabe, für eine große Zahl von Patienten, die vorher nicht behandelt werden konnten, nun die nötigen Kapazitäten zu schaffen. Schließlich muss das Gesundheitssystem dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen.

Weitere Therapieansätze in der Erforschung

Es gibt noch weitere Therapieansätze, an denen Arbeitsgruppen weltweit forschen. Dazu gehören Behandlungen, die auf den Schutz der Nerven abzielen (Neuroprotektion), die den Sehzyklus beeinflussen (Sehzyklusinhibitoren), die Entzündungen hemmen (antiinflammatorische Therapie), Netzhaut-Implantate, und schließlich gentherapeutische Ansätze. Letztere werden schon seit den 90er Jahren als Mittel gegen chronische Krankheiten erforscht. Das Auge ist für den Einsatz von Gentherapien besonders gut geeignet, weil nur wenig Gewebe behandelt werden muss und weil es vergleichsweise einfach ist, das Medikament an seinen Zielort zu bringen. In Phase I- und Phase II-Studien wird derzeit GT-005 untersucht. Dieses Medikament soll dafür sorgen, dass im Auge ein Wirkstoff produziert wird, der das Komplementsystem im Gleichgewicht hält. Dieser Ansatz hätte den Vorteil, dass eine einmalige Behandlung eine lange Wirksamkeit hat. 

Fazit

Die altersabhängige Makuladegeneration ist die häufigste Ursache für Sehbehinderung und Blindheit in Deutschland. Bisher gab es nur für die neovaskuläre Spätform der AMD wirksame Behandlungen, doch in naher Zukunft könnten auch erste Therapien für die trockene AMD zugelassen werden. In den USA wurde der erste Wirkstoff bereits zugelassen, in Europa wird die Entscheidung darüber 2024 erwartet. Ziel ist es, das Wachstum einer geographischen Atrophie zu verlangsamen und so die vorhandene Sehkraft länger zu erhalten. Damit sind auch große Herausforderungen für das Gesundheitssystem verbunden.

Prof. Dr. Sandra Liakopoulos
Klinik für Augenheilkunde, Goethe-Universität Frankfurt
und Cologne Image Reading Center, Uniklinik Köln
Tel: 069 6301 5689
eMail: sandra.liakopoulos@uk-koeln.de


Künstliche Intelligenz in der Glaukomdiagnostik
Wie profitiert der Patient davon?

Es ist ein Begriff, der immer häufiger auftaucht und der mitunter zwiespältige Gefühle verursacht: Künstliche Intelligenz (KI). Einerseits wird sie als Wunderwerkzeug gepriesen, um die Herausforderungen der Zukunft in den Griff zu bekommen, andererseits macht sie manchen Menschen auch Angst: Da passiert etwas mit zum Teil sehr persönlichen Daten, das sich der Kontrolle durch die Betroffenen entzieht. Es gibt bereits KI-Anwendungen in der Medizin und gerade auch in der Augenheilkunde, die als wichtige Unterstützung der Diagnostik gesehen werden können. Die (augen)ärztliche Bewertung und Entscheidung ersetzen sie nicht, doch sie bieten wichtige Hilfestellungen.

Was ist künstliche Intelligenz überhaupt?

„Künstliche Intelligenz“ ist ein Teilbereich der Informatik, bei dem es darum geht, Computer und Computerprogramme so zu gestalten, dass sie eigenständig Probleme bearbeiten – so ähnlich wie Menschen dies tun würden. Ein Teilgebiet der KI ist das „Machine Learning“: Rechner können Algorithmen entwickeln und ständig verbessern, um große Datenmengen auszuwerten. Ein anderes Teilgebiet der KI, das „Deep Learning“, geht noch weiter: Es ahmt biologische Strukturen des Nervensystems nach (neuronale Netze). In den vergangenen Jahren wurden hier rasante Fortschritte gemacht und gerade in der Bilderkennung gibt es Anwendungen, die menschlichen Fähigkeiten, Bilder zu analysieren, nahe kommen, ja sie teilweise sogar übertreffen. Alleine durch die Analyse von Fotos des Augenhintergrundes lassen sich dank KI Aussagen über Alter, Rauchgewohnheiten und Blutdruck eines Menschen machen.

Warum ist gerade die Augenheilkunde ideal für die Digitalisierung?

KI-Anwendungen sind dort hilfreich, wo klar definierte Fragestellungen auf große Datenmengen treffen, die die notwendigen Informationen enthalten.

Die Augenheilkunde ist eine Disziplin, die schon lange die Möglichkeiten nutzt, ins Auge hineinzuschauen: Hermann von Helmholtz erfand 1850 den Augenspiegel, noch heute ein unersetzliches diagnostisches Werkzeug des Augenarztes. Seither wurden immer genauere und feinere Methoden entwickelt, um die Strukturen des Auges abzubilden. 

Mit dem Blick ins Auge geben sich Augenärzte längst nicht mehr zufrieden. Wo in früheren Jahrzehnten auffällige Befunde noch in von Hand gezeichneten Skizzen festgehalten wurden, entstehen heute digitale Netzhautfotos. Hinzu kommen weitere Verfahren: Die Optische Kohärenztomographie (OCT) und andere Laserscan-Verfahren beispielsweise bieten, gepaart mit moderner Computertechnik, immer neue Möglichkeiten, feinste Strukturen etwa von Netzhaut und Sehnerv zu untersuchen und abzubilden. Bei einer berührungslosen Untersuchung, die nur wenige Sekunden oder Minuten dauert entstehen so Aufnahmen, die sogar einzelne Zellschichten darstellen. Dabei sollte man sich dessen bewusst sein, dass es sich nicht um analoge Bildgebung handelt. Die Bilder, die hier entstehen, sind vom Computer sichtbar gemachte digitale Daten.

Auf diese Weise produzieren Augenärztinnen und Augenärzte bei ihren Untersuchungen mit modernen Verfahren große Datenmengen, die genau das Material bieten, das mit KI-Anwendungen ausgewertet werden kann.

Warum könnte KI in der Glaukomdiagnostik eine Rolle spielen?

Das Glaukom ist eine komplexe Augenerkrankung, bei der ganz verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Nach und nach gehen Fasern des Sehnervs verloren. Die Folge sind Ausfälle im Gesichtsfeld, die fortschreiten, wenn das Glaukom nicht behandelt wird. Ein wichtiger Risikofaktor ist der Augeninnendruck. Ist er zu hoch, dann gerät der Nerv am Sehnervenkopf, also an der Stelle, an der er das Auge verlässt, unter Druck. Die Durchblutung des Nervs leidet und die Nervenfasern sterben ab. 

In der Glaukomdiagnostik sind eine ganze Reihe von Verfahren seit Jahrzehnten etabliert, dazu gehört die Messung des Augeninnendrucks und die Analyse des Gesichtsfelds. Hinzu kommen die OCT und ihre Weiterentwicklung, die OCT-Angiographie (OCT-A), mit der rund um den Sehnerv mehrere für die Glaukomerkrankung wichtige Bereiche untersucht werden können:

– Die peripapilläre Gefäßdichte – also die Dichte der Blutgefäße rund um den Sehnervenkopf herum – lässt sich darstellen. So wird eine Einschätzung möglich, wie gut der Sehnerv durchblutet wird.

– Auch der Zustand kleiner Gefäße in der Aderhaut des Auges neben der Papille ist von Interesse (parapapilläre chorioidale Mikrogefäße).

– Rund um den Sehnervenkopf kann mit Hilfe der OCT die Dicke der retinalen Nervenfaserschicht (Retinal Nerve Fiber Layer, RNFL) bestimmt werden.

– Weitere wichtige Parameter sind die Gefäßdichte rund um die Makula – die Stelle des schärfsten Sehens im Auge – und der Komplex der Ganglienzellen (Ganglion Cell Complex, GCC), der aus der retinalen Nervenfaserschicht, der Ganglienzellschicht und der inneren plexiformen Schicht besteht.

Engmaschige Augeninnendruckmessungen, Gesichtsfeldanalysen und OCT-Befunde ermöglichen eine detaillierte Diagnostik, mit der der Verlauf dieser chronischen Krankheit und der Erfolg der Behandlung über Jahre hinweg genau dokumentiert werden müssen. Dabei entstehen enorme Mengen an Daten. Sie auszuwerten wird immer schwieriger und zeitaufwändiger. Es besteht die Gefahr, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. 

Hier kann eine automatisierte Auswertung der Daten entscheidende Hilfe leisten – und weltweit suchen Arbeitsgruppen nach Wegen, die KI für die Glaukomdiagnostik nutzbar zu machen. Eine Recherche auf der englischsprachigen Meta-Datenbank „PubMed“ zeigt, dass die Anzahl der Veröffentlichungen, die sich mit KI und Glaukom befassen, in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen ist.

Wie lernen Computer?

Welche Schritte sind nun notwendig, damit Computer lernen, Befunde zu analysieren? Wenn wir einen Barcode oder einen QR-Code sehen, erkennen wir nur ungeordnete Pixel, die wir nicht deuten können. Wir wissen aber: Computer – beispielsweise unsere Smartphones – können die in den Pixeln verborgenen Informationen lesen und für uns nutzbar machen, indem sie beispielsweise einen Link zu einer Internetseite öffnen. 

Um KI in der Augenheilkunde einzusetzen, müssen die Rechner nun lernen, beispielsweise OCT-Bilder zu interpretieren. Dafür analysieren zunächst Menschen die Rohdaten und überführen sie in Karten, die einfache Muster enthalten. Das OCT-Bild wird also in einen Barcode „übersetzt“, den der Computer lesen kann. Dies geschieht mehrere hundert Mal. So entsteht ein Trainings-Datensatz. Diesem ersten Schritt des „supervised machine learning“ (überprüftes beziehungsweise begleitetes Maschinenlernen) folgt der nächste: Ein Computer-Algorithmus (eine Handlungsvorschrift zum Lösen von Problemen) nutzt den Trainings-Datensatz, um auf dieser Grundlage selbst Bilddaten zu beurteilen. Der Computer kann die Analyse sehr viel schneller erstellen als es ein Mensch könnte. Forschungsgruppen, die sich eine solche KI-Lösung zu Nutze machen, können dann sehr viel mehr Fälle in ihre Analysen einbeziehen. Heute werden bereits Forschungsarbeiten veröffentlicht, in denen bis zu 15.000 Gesichtsfeldanalysen oder 20.000 OCT-Befunde berücksichtigt werden. 

Von welchen Anwendungen können Patienten profitieren?

Einige Beispiele von Veröffentlichungen aus den vergangenen Jahren zeigen erste erfolgreiche Anwendungen: Schon heute kann KI Gesichtsfelder auswerten – Defekte erkennt sie sogar zuverlässiger als menschliche Experten. Damit können entsprechende Anwendungen die Glaukomdiagnose unterstützen (1). Es besteht sogar die Möglichkeit von Vorhersagen, wie sich das Gesichtsfeld entwickeln wird: Eine Arbeitsgruppe ließ ein rekurrentes neuronales Netzwerk jeweils fünf Gesichtsfeldbefunde von Patienten auswerten und dann vorhersagen, wie eine sechste Untersuchung ausfallen würde. Das Ergebnis war herkömmlichen Methoden überlegen (2). Eine andere Anwendung ist die Beurteilung der Dicke der retinalen Nervenfaserschicht anhand von Fotografien des Augenhintergrunds. Trainiert wurde diese Anwendung anhand von Fundusaufnahmen und von RNFL-Messungen mit der OCT. Das Programm kann anhand der Fotos gut unterscheiden, ob mit einem schnellen oder einem moderaten Verlust von Nervenfasern zu rechnen ist. Damit hilft es Augenärztinnen und Augenärzten bei der langfristigen Nachverfolgung der Glaukomerkrankung und bietet eine Unterstützung für Therapieentscheidungen auch dort, wo eine OCT-Untersuchung nicht möglich ist (3).

Fazit

Künstliche Intelligenz lässt sich dort gut einsetzen, wo klare Fragestellungen auf große Datenmengen treffen, die die nötigen Informationen beinhalten. Die Augenheilkunde verfügt über verschiedene Verfahren, mit denen feinste Strukturen im Augeninneren untersucht und abgebildet werden können. So entstehen große Datenmengen, die mithilfe von KI ausgewertet werden können. In der Augenheilkunde und gerade auch in der Glaukomdiagnostik gibt es bereits einige Beispiele, wie KI in der Forschung genutzt und in der Patientenversorgung eingesetzt werden kann. Dabei ist KI ein Hilfsmittel, keinesfalls aber ein Ersatz für die augenärztliche Expertise.

Prof. Dr. Hagen Thieme
Universitätsklinikum Magdeburg
Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde
Leipziger Str. 44 (Haus 60b)
39120 Magdeburg
Tel: 0391-67-13571
Fax: 0391-67-13570
eMail: augenklinik@ovgu.de

Quellen:

(1) Li, F., Wang, Z., Qu, G. et al. Automatic differentiation of Glaucoma visual field from non-glaucoma visual filed using deep convolutional neural network. BMC Med Imaging 18, 35 (2018). https://doi.org/10.1186/s12880-018-0273-5 

(2) Park, K., Kim, J. & Lee, J. Visual Field Prediction using Recurrent Neural Network. Sci Rep 9, 8385 (2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019-44852-6

(3) Medeiros, F., Jammal, A. & Mariottoni, E. Detection of Progressive Glaucomatous Optic Nerve Damage on fundus Photographs with Deep Learning, Ophthalmology 2021 Mar; 128(3): 383-392, https://doi.org/10.1016/j.ophtha.2020.07.045


SARS-CoV2-Impfung schädigt das Auge nicht
Keine Hinweise auf erhöhtes Risiko für Gefäßverschlüsse

Als vor rund zwei Jahren die ersten Impfungen gegen SARS COV2 zugelassen wurden, folgten bald schon Berichte über mögliche Nebenwirkungen, die in den Medien und in der Gesellschaft breit diskutiert wurden. So gab es Meldungen über ein erhöhtes Risiko für Sinusvenenthrombosen nach der Impfung mit dem – inzwischen in Deutschland nicht mehr eingesetzten – Impfstoff des Herstellers AstraZeneca. Eine Sinusvenenthrombose ist eine seltene Form des Schlaganfalls, bei der Blutgerinnsel die Gefäße verstopfen, über die das Blut aus dem Gehirn abfließt. Die Folge sind Schwellungen und Einblutungen im Gehirn. Auch über Augenerkrankungen nach einer Impfung gab es einzelne Berichte, auch hier standen Gefäßverschlüsse im Fokus – insbesondere die Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) sowie Gefäßverschlüsse in der Netzhaut des Auges.

Um herauszufinden, ob es eine auffällige Häufung solcher Erkrankungen gibt und ob unter Umständen ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der Krankheit besteht, startete die Retinologische Gesellschaft eine Umfrage in 50 deutschen Zentren (1). 

Die Umfrage berücksichtige eine ganze Reihe von Aspekten:

  • Welcher Art war der Gefäßverschluss?
  • Wie viel Zeit verging zwischen dem Ereignis und der Diagnose (Verschlussalter)?
  • Wie lange vor dem Ereignis wurden die Erkrankten gegen SARS COV2 geimpft?
  • Welcher Impfstoff kam zum Einsatz?
  • Bestanden Vorerkrankungen (inklusive einer Corona-Infektion)?

72 Prozent der angefragten Zentren beteiligten sich an der Umfrage und sandten zu 515 Krankheitsfällen Daten ein. Die Patienten waren im Durchschnitt 67,4 Jahre alt. Innerhalb von zwei Wochen nach dem Gefäßverschluss wurden gut drei Viertel der Fälle in der Augenklinik untersucht. Zu den bekannten Vorerkrankungen gehörten Bluthochdruck (64,7 Prozent), Karotisstenose (Verengung der Halsschlagader, 18,5 Prozent), Diabetes mellitus (18,4 Prozent), Vorhofflimmern (11,5 Prozent), Glaukom (10,5 Prozent) und eine vorherige Corona-Infektion (1,8 Prozent).

76,9 Prozent der Patienten waren gegen SARS COV2 geimpft, dabei lag die Impfung bei mehr als einem Viertel der Fälle mehr als sechs Wochen vor dem Gefäßverschluss, bei knapp zehn Prozent waren es vier bis sechs Wochen, bei knapp 20 Prozent zwei bis vier Wochen und bei 16,4 Prozent weniger als zwei Wochen. Eine auffällige zeitliche Häufung ließ sich nicht feststellen. Insgesamt fand sich kein Hinweis darauf, dass die Impfung das Risiko für einen retinalen Gefäßverschluss erhöht.

Auch eine vergleichende Analyse der Umfrageergebnisse mit Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie erlaubt diesen Schluss. Diese Studie ist mit 15.000 Personen eine der größten lokalen Gesundheitsstudien der Welt. Seit April 2007 werden die Teilnehmer regelmäßig auf ihren Gesundheitszustand hin untersucht. Der Schwerpunkt liegt auf der Herz-Kreislauf-Gesundheit, aber auch Krebserkrankungen, Augenkrankheiten sowie Erkrankungen des Immunsystems, des Stoffwechsels und der Psyche werden erfasst. Eine rückwirkende Analyse der Daten ergab keine auffällige Häufung von Fällen retinaler Gefäßverschlüsse nach einer SARS COV2-Impfung.

Auch eine aktuelle japanische Veröffentlichung (2) bestätigt die Annahme, dass die SARS COV2-Impfung keine schädlichen Nebenwirkungen am Auge hervorruft. Für diese Untersuchung wurden Daten zu medizinischen Leistungen und Impfungen aus einer japanischen Großstadt ausgewertet und geprüft, ob nach der Impfung mit BNT162b2, dem Impfstoff von Biontech/Pfizer, auffällig viele Fälle von Uveitis, Skleritis, Gefäßverschlüssen und Sehnervenentzündung auftragen. Der Vergleich von knapp 100.000 geimpften mit ebenso vielen nicht geimpften Personen legt nahe, dass die Impfung keine schädlichen Nebenwirkungen am Auge hervorruft.

Fazit

Eine Umfrage unter deutschen Augenkliniken ergab keine Hinweise auf eine auffällige Häufung von Gefäßverschlüssen in der Netzhaut des Auges nach einer SARS COV2-Impfung. Diese Ergebnisse werden bestätigt von einer vergleichenden Analyse der Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie, einer großen lokalen Gesundheitsstudie mit 15.000 Teilnehmern. Auch eine japanische Untersuchung legt nahe, dass die Impfung keine Schäden am Auge hervorruft.

Prof. Dr. Nicolas Feltgen
Universitäts-Augenklinik Göttingen
Robert-Koch-Str. 40
37075 Göttingen
Tel: 0551-39-66789
Fax: 0551-39-66787
eMail: info@augenklinik-goettingen.de

Quellen:

1) Feltgen N, Ach T, Ziemmsen F et al.: Retinal Vascular Occlusion after COVID-19 Vaccination: More Coincidence than Causal Relationship? Data from a Retrospective Multicentre Study,  J. Clin. Med. 2022, 11(17), 5101;doi: https://doi.org/10.3390/jcm111751012) Hashimoto Y, Yamana H, Iwagami M, Ono S, Takeuchi Y, Michihata N, Uemura K, Yasunaga H, Aihara M, Kaburaki T, Ocular adverse events after COVID-19 mRNA vaccination: matched cohort and self-controlled case series studies using a large database, Ophthalmology (2022), doi: https://doi.org/10.1016/j.ophtha.2022.10.017